Schweigen ist Silber, Reden ist Gold - Wendy Davis verhindert ein strengeres Abtreibungsgesetz - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Public Affairs





 

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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 27.06.2013


Schweigen ist Silber, Reden ist Gold - Wendy Davis verhindert ein strengeres Abtreibungsgesetz
Sabine Reichelt

Als "pro-life" bezeichnen sich die US-amerikanische Abtreibungsgegner_innen, die gegen die Selbstbestimmung von Frauen über ihren eigenen Körper kämpfen. Ihnen hat die demokratische Abgeordnete ...




... Paroli geboten, als sie stundenlang – ohne zu trinken oder sich hinzusetzen – vor dem Senat von Texas sprach und damit eine rechtzeitige Abstimmung zu "Senate Bill 5" verhinderte.

Der Filibuster, den der Duden als eine "Praktik, durch Marathonreden Parlamentsbeschlüsse zu verzögern oder zu verhindern," definiert, ist in den USA ein gängiges Instrument der Politik. Die Regeln für einen Filibuster im texanischen Senat allerdings sind streng: Den Sprechenden ist es während ihrer Rede untersagt, zu essen oder zu trinken, sie dürfen nicht vom Thema abweichen, sie müssen an ihrem Sitzplatz stehen, und dürfen sich weder anlehnen noch hinsetzen. Auch Toilettenpausen sind nicht gestattet.

All diese Strapazen nahm die demokratische Senatsabgeordnete Wendy Davis auf sich. In der Nacht vom 25. auf den 26. Juni sprach sie elf Stunden am Stück vor dem zu knapp zwei Dritteln republikanisch besetzten Gremium, um ein drakonisches Anti-Abtreibungsgesetz zu verhindern.

"I know, it seems impossible that a human born with the vagina defect could stand that long and talk at the same time and still make sense, but Sen. Davis fucking did it," schreibt das feministische Online-Magazin "Jezebel" euphorisch. Und sie tat es außerdem mit Erfolg. Gegen 22 Uhr allerdings musste die Senatorin ihren Filibuster beenden, weil sie ein drittes Mal gegen die Regeln verstoßen hatte. Zweimal kam sie nach Meinung des republikanischen Senatsvorsitzenden vom Thema ab – sie sprach dabei unter anderem über die finanziellen Folgen eines früheren Anti-Abtreibungsgesetzes. Einmal half ihr ein Kollege, eine Rückenbandage anzulegen, um sie beim langen Stehen zu unterstützen.

Nach dem Ende des Filibusters verzögerten "parliamentary inquiries" demokratischer Abgeordneten, die Fragen zum Hergang der Sitzung stellten, die Abstimmung weiter. Schließlich war es Viertel vor Zwölf und die Republikaner_innen bereit zur Stimmabgabe. Doch nun machte das Publikum im Saal einen solchen Lärm, dass diese erst kurz nach Mitternacht abgeschlossen werden konnte – zu spät, um das Gesetz noch zu verabschieden. Eindrucksvoll zeigt den Einsatz der Davis-Unterstützer_innen, die zu Hunderten in Orange gekleidet auf der Galerie Platz genommen hatten, die Berichterstattung der "Rachel Maddow Show".

Doch was hat Wendy Davis da eigentlich – zumindest vorerst – verhindert? Das texanische Gesetz sieht es vor, Schwangerschaftsabbrüche nach der 20. Woche zu verbieten. Außerdem muss die Abtreibung in einem speziell registrierten Zentrum durchgeführt werden, das sehr strenge Bestimmungen erfüllen muss. Würde das Gesetz verabschiedet, müssten 37 der 42 Kliniken in Texas schließen, da sie das Geld für die Registrierung und die dann nötigen Umbauten und Neuanschaffungen nicht aufbringen könnten, wie "DIE ZEIT" berichtet. Nun ist Texas der zweitgrößte Staat der USA (sowohl nach Fläche als auch nach Bevölkerung), doppelt so groß wie Deutschland und hat 26 Millionen Einwohner_innen. Mit fünf Abtreibungskliniken wäre unter diesen Bedingungen nur ganz wenigen Frauen, den meisten überhaupt nicht geholfen.

Doch Cecile Richards, Präsidentin von "Planned Parenthood", einer Non-Profit-Organisation, die unter anderem gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen, Sexualberatung und Schwangerschaftsabbrüche durchführt, ist zuversichtlich, dass die Bevölkerung Texas´ nicht hinter einem solchen Gesetz steht. Dem "Texas Tribune" sagt sie in einem Interview: "Texas is trending in a different direction (...). These kinds of efforts by (...) the leadership of the Republican Party to try to pass really extreme measures, punitive measures against women are only going to have an accelerator effect on some of the trends that we´re seeing: that women and young people reject this kind of legislation. And it´s not only this bill (...), but certainly the efforts to defund Planned Parenthood, to end the Women´s Health Program, Governor Perry´s veto of the Lilly Ledbetter Equal Pay Act, these kinds of things are creating a narrative (...) that is not favorable to voters."

Wendy Davis, die standfeste Politikerin, sorgte bereits 2011 mit einem Filibuster für Schlagzeilen. Damals verhinderte sie Kürzungen im Schulsystem. Ihr persönliches Leben ist eine Aufstiegsgeschichte à la American Dream. Mit 19 war sie alleinerziehende Mutter einer Tochter und später die erste aus ihrer Familie, die einen akademischen Abschluss erlangte. Sie studierte in Harvard und arbeitete später als Anwältin, bevor sie 2008 in den Senat gewählt wurde. Laut dessen Website setzt sie sich besonders für Frauen ein, die Opfer einer Vergewaltigung geworden sind, und will mehr Arbeitsplätze für Texaner_innen schaffen.

Kämpfe um das Abtreibungsrecht haben in den USA eine lange Geschichte. Die Grundsatzentscheidung fiel im Jahr 1973. Bis dahin hatte Texas Schwangerschaftsabbrüche nur zugelassen, um das Leben der Mutter zu retten. Im Prozess "Roe v. Wade" legalisierte der Oberste Gerichtshof schließlich in jedem der Bundesstaaten Abtreibungen bis zum dritten Monat. Unter Berufung auf das 14. Amendment, das Bürger_innen ihre persönlichen Freiheiten und Rechte gegenüber den Staaten zusichert, beschloss das Gericht, allein Frauen und ihren Ärzt_innen die Entscheidung über eine Abtreibung zu überlassen. Trotzdem wird dieses Urteil von Abtreibungsgegner_innen immer wieder in Frage gestellt, unter ihnen auch der texanische Gouverneur Rick Perry. Aber es gibt auch vehemente Verteidiger_innen des Rechtes auf Selbstbestimmung von Frauen über ihren eigenen Körper: Neben den Tausenden im und vor dem Senatsgebäude äußerten sich zahllose Davis-Unterstützer_innen auf Twitter unter dem Hashtag #istandwithwendy – darunter auch Barack Obama.

Weitere Informationen und Quellen:

"Elfstündige Protestrede verhindert neues Abtreibungsgesetz in Texas", ZEIT, 26.06.2013

"Led by Davis, Democrats Defeat Abortion Legislation" The Texas Tribune, 26.06.2013

"Texas GOP abortion bill fails against impassioned opposition", "The Rachel Maddow Show", 26.06.2013

"Texas Abortion Bill Is Dead", Jezebel, 26.06.2013

Der Gesetzestext: Senate Bill 5

Das Video zur Senatssitzung: www.senate.state.tx.us

Die Regeln zum Filibuster im texanischen Senat

Wendy Davis´ Website: www.wendydavisforsenate.com

Wendy Davis im Senat: www.senate.state.tx.us

Zu Wendy Davis´ Filibuster 2011: www.nytimes.com

Interview des "Texas Tribune" mit Cecile Richards, Präsidentin von Planned Parenthood: www.youtube.com, 26.06.2013

Das Urteil im Fall "Roe v. Wade" (1973): www.law.cornell.edu

Berichterstattung zur Anti-Abtreibungspolitik in North Dakota in der "Rachel Maddow Show": www.nbcnews.com, 25.03.2013

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pro familia übt Kritik an Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 2010

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Beitrag vom 27.06.2013

Sabine Reichelt